Kreditklemme: Die Katze beißt sich in den Schwanz
Eine gravierende Kreditklemme in Deutschland und Europa wird im fortgeschrittenen Stadium der multiplen Krise wahrscheinlicher. Sechs große deutsche Banken sind beim EBA-Stresstest durchgefallen, weil ihre Kapitaldecke nicht ausreicht. Wahrscheinlich muss der Staat einspringen. Was, wenn der es nicht mehr kann?
Wirtschaft funktioniert in Kreisläufen, die sich im Finanzsektor in Zahlungsströmungen widerspiegeln. Funktioniert nur ein Glied der Kreislaufkette nicht, lässt sich das reparieren. Derzeit aber scheint das Prinzip des Kreislaufs nicht mehr zu funktionieren. Leidtragende könnten schon bald Verbraucher und Unternehmen sein: Wenn kein systemrelevanter Akteur mehr in der Lage ist, Risiken zu übernehmen, droht eine Abwärtsspirale.
Der Rettungsschirm für die Retter gerät in Not - und selbst der IWF kann nicht mehr helfen
Als im Jahr 2008 Banken der Kollaps drohte, griffen die Staaten ein: In den USA, Europa und anderen Teilen der Welt wurden beispiellose Rettungspakete geschnürt. Im Folgestadium gerieten Staaten in Not: Griechenland, Portugal, Irland, Italien und andere Länder benötigten und benötigen Hilfe aus internationalen Rettungsschirmen, multilateralen Kredithilfen und von der Europäischen Zentralbank sowie dem Internationalen Währungsfonds.
Um Staaten vor Zahlungsunfähigkeit zu bewahren, wurden Rettungsmechanismen konstruiert. Diese stießen schneller an ihre Grenzen als gedacht: Die von der Politik erwünschte Hebelwirkung des EFSF fällt mangels interessierter Investoren flach. Zudem droht dem Rettungsmechanismus eine Herabstufung durch Ratingagenturen, noch bevor die erste Anleihe in seinem Namen platziert ist.
Wenn Staaten sich und ihre Defizite und Schuldenberge nicht mehr zuverlässig refinanzieren können, geraten zunächst das jeweilige nationale und dann das internationale Bankensystem ins Wanken. Der Kollaps rückt bereits näher, wenn Banken Abschreibungen auf einst als „sicher vor dem Herrn“ eingestufte Staatsanleihen vornehmen müssen. Dann reduzieren sich ihre Kapitaldecke und damit die Fähigkeit, Risiken zu tragen und Kredit an Haushalte und Unternehmen zu vergeben.
Wenn der Transfer von Risiken aus der Bilanz auf Staaten nicht mehr möglich ist, weil die Staaten selbst in Bedrängnis sind, stellt sich die Frage: Wer soll in Zukunft (Kredit-)Risiken übernehmen? Wenn neu konstruierte Rettungsschirme ausfallen, liegt die Antwort nahe: Der IWF könnte einspringen und Staaten nebst ihrem Finanzsektor unter die Arme greifen. Der Währungsfonds stößt mittlerweile aber selbst an seine Grenzen. Er finanziert sich, vereinfacht gesagt, über Kredite seiner Mitgliedsstaaten aus deren Währungsreserven. Nach Abzug aller Verbindlichkeiten der Notenbanken steht dort nicht mehr viel zu Buche.
Bestimmen die Grenzkosten des Risikos die nächsten Jahre?
Noch ist das System nicht vollständig kollabiert und die Abwärtsspirale nicht unausweichlich im Gang. Dennoch zeichnet sich eine Kreditklemme ab. Mit der HypoVereinsbank und der Commerzbank kündigten jüngst zwei große deutsche Institute gravierende Einschnitte in ihrem Kreditgeschäft an. Dahinter steckt ein ähnliches Kalkül wie bei den Sparbeschlüssen des EU-Gipfels und derjenigen in vielen Euro-Mitgliedsländern.
Kreditinstitute könnten in den nächsten Jahren mit den "Grenzkosten des Kreditrisikos" kalkulieren. Die Grenzkosten beschreiben in der Betriebswirtschaftslehre diejenigen Kosten eines Unternehmens, die bei der Produktion einer weiteren Einheit seines produzierten Gutes anfallen. Das Kreditrisiko zählt ganz wesentlich zu den Produktionskosten des Produktes "Kredit".
In der gegenwärtigen Situation scheint ein Rückzug aus möglichst vielen Engagements für Banken sehr attraktiv. Schließlich wirkt sich jede Verminderung des Ausfallrisikos überproportional auf das Vertrauen der Märkte aus. Vertrauen bedeutet mehr Kundeneinlagen und geringere Risikoaufschläge für Bankanleihen. Dadurch steigt die Gewinnmarge.
Eine Ausweitung des Kreditgeschäfts hingegen lohnt sich vor allem für große Banken kaum: Durch die größeren Bilanzrisiken würde das Vertrauen zusätzlich schwinden und die Refinanzierung über den Geld- und Anleihemarkt schwieriger. Aus dieser Perspektive heraus erscheint eine Kreditklemme in den nächsten Monaten nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich.
Das bedeutet allerdings nicht, dass der Zugang zu Krediten unmöglich wird. Von den aktuellen Geschehnissen am Kapitalmarkt sind längst nicht alle Kreditinstitute direkt betroffen. Vor allem kleinere Banken aus der zweiten und dritten Reihe sind oft vorwiegend im deutschen Verbraucherkreditmarkt engagiert, der mit einer Ausfallrate von rund drei Prozent zu den sichersten Märkten der Welt gehört. Probleme haben vor allem Banken, die in der Euro-Peripherie und in fragilen Immobilienmärkten involviert sind.
Alle Angaben ohne Gewähr. Dieser Beitrag wurde sorgfältig recherchiert und gibt den Sachstand vom 15.12.2011 wieder. Neuere Entwicklungen sind im Beitrag nicht berücksichtigt. Eine Haftung für Inhalte wird nicht übernommen.
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Veröffentlicht am: 15.12.2011
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Schlagwörter: Kreditklemme, Rettungsschirm, EBA-Stresstest, Kapitaldecke nicht ausreicht
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